Wifo: Wachstum bis 2024 weiter schwach - Fragezeichen zu Budgetplänen
Utl.: Experte: Steuerentlastungen im geplanten Ausmaß und Budgetüberschuss nur mit Ausgabenkürzungen möglich - Auch neue Mittelfrist-Prognose nur mit Abwärtsrisiken
Wien (APA) - Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) erwartet für die fünf Jahre bis 2024 ein anhaltend schwaches Wirtschaftswachstum, ähnlich wie schon im Herbst prognostiziert. Die Arbeitslosigkeit wird wieder leicht zunehmen.
Fraglich ist für das Wifo, wie die Pläne zur Senkung der Abgabenquote durch Steuerentlastungen und zusätzliche Ausgaben für den öffentlichen Verkehr und Klimaschutz mit dem Ziel eines weiteren Budgetüberschusses zusammengehen sollen.
Die Wifo-Prognose beruht auf einer "No-Policy-change"-Annahme, dass also der Rechtsstand von Oktober unverändert bleibt. Damit ist auch das Anfang Jänner vorgestellte Regierungsprogramm noch nicht mit berücksichtigt. Unter dieser Annahme errechnet das Wifo für den Zeitraum 2020 bis 2024 einen jährlichen Budgetüberschuss von rund 0,4 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP), was etwa 1,7 Mrd. Euro entspricht. Das ist der fiskalpolitische Spielraum, bei dem das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne zusätzliche (einnahmen- und/oder ausgabenseitige) Gegenfinanzierungen erreichbar ist.
Denn allein mit der Absenkung der ersten Lohn- und Einkommensteuer-Stufe von 25 auf 20 Prozent, die auf rund 1 1/2 Mrd. Euro geschätzt wird, wäre der Budgetüberschuss von 1,7 Mrd. Euro großteils aufgebraucht, rechnete der Wifo-Makroökonom Josef Baumgartner im APA-Gespräch vor. Wolle die Regierung noch den Körperschaftsteuer-Satz (KÖSt) von 25 auf 21 Prozent zurücknehmen und vielleicht 2022 oder 2023 die beiden weiteren ESt-Stufen von 35 auf 30 bzw. von 42 auf 40 Prozent senken, "wären das nochmals rund vier Mrd. Euro".
Ab der Umsetzung aller genannten Steuersenkungen ergäbe sich somit ein jährlicher Einnahmenausfall von etwa 5 1/2 Mrd. Euro. Berücksichtige man noch positive Rückwirkungseffekte durch die höheren verfügbaren Haushaltseinkommen bzw. Unternehmensgewinn auf die Wirtschaftsleistung und das dadurch höhere Steuer- und Beitragsaufkommen, würde diese Lücke immer noch rund 3 1/2 bis 4 Mrd. Euro pro Jahr betragen, so der Wifo-Experte.
Als Gegenfinanzierung der Senkung von Lohn- und Einkommensteuer sowie der KÖSt könnten "ökologie-relevante Steuern" erhöht werden. "Dann bliebe aber noch immer die Abgabenquote annähernd gleich - außer die Wirkungen der Steueränderungen auf die Wirtschaftsleistung unterscheiden sich deutlich zugunsten der Steuersenkungen - was man aber noch nicht sagen kann, da die Ausgestaltung der CO2-Bepreisung noch nicht bekannt ist", so Baumgartner.
Wolle man die Abgabenquote jedoch auch senken und einen Budgetüberschuss erhalten, also nicht ins Defizit rutschen, impliziere das wohl die Kürzung anderer Staatsausgaben. Als Gegenfinanzierung anbieten würde sich die Abschaffung von Bundesförderungen mit potenziell negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Für die Bereiche Verkehr, Energieerzeugung und Energienutzung schätzt das Wifo das Volumen umweltkontraproduktiver Förderungen auf 3,8 bis 4,7 Mrd. Euro.
Selbst wenn man mit den genannten Parametern irgendwie auf ein "Nullsummenspiel" käme, ließe das noch keinen Spielraum für zusätzliche Aufgaben, die sich etwa im Bereich öffentlicher Verkehr oder Klimainvestitionen stellen könnten, betont Baumgartner. Erste Steuerreform-Konkretisierungen sind diese Woche von der Regierungsklausur in Krems (NÖ) zu erwarten.
Die demografisch bedingten Ausgabensteigerungen hat das Wifo schon bisher für die kommenden Jahre antizipiert. Denn mittelfristig werden die Pensionierungen der "Babyboomer", die zunehmende Lebenserwartung und die damit verbundene stärkere Inanspruchnahme von Gesundheits- und Pflegeleistungen "eine Zunahme der (öffentlichen) Sozialausgaben bewirken", betonte das Wifo am Montag in seiner neuen Mittelfrist-Prognose. Die Sozialausgaben sind mit 84 Mrd. Euro (2018) die größte Ausgabenkategorie (rund 45 Prozent), für die im Prognosezeitraum ein jährlicher Zuwachs von 3 Prozent 2020 auf 3,5 Prozent 2024 erwartet wird. Die gesamten Staatsausgaben dürften bis 2024 im Gleichklang mit dem nominellen BIP wachsen - nämlich um knapp drei Prozent jährlich -, "sodass die Staatsausgabenquote im Prognosehorizont konstant bleiben dürfte (48 Prozent)", heißt es.
Den Rückgang der Staatsschuld erwartet das Wifo nun ohnedies schon etwas langsamer als noch im Herbst. Gemessen am BIP soll sie von 74 Prozent 2018 bis zum Jahr 2024 zwar merklich auf 58 Prozent sinken, jedoch sind das eineinhalb Prozentpunkte mehr als zuletzt gedacht. Und in absoluter Höhe heißt das: "Für das Jahr 2024 werden die Staatsschulden um rund 4 Mrd. Euro höher prognostiziert als noch im Oktober 2019", so das Institut.
Für das reale BIP-Wachstum hat das Wifo seine Prognose gegenüber Oktober nur für heuer leicht zurückgenommen, nämlich von 1,4 auf 1,2 Prozent, für die Folgejahre wurde sie mit zweimal 1,4 und zweimal 1,3 Prozent gleich gelassen. Der niedrigere Wert für das heurige Jahr resultiert laut Baumgartner aus der Abschwächung in Eurozone, MOEL-5 und USA, in die zusammen knapp zwei Drittel unseres Ausfuhrvolumens gehen - wodurch sich Österreichs Exportdynamik abschwächt. Diese Handelspartner würden exportgewichtet zusammen nur um die eineinhalb Prozent im Jahr wachsen, so schwach wie seit der Wirtschaftskrise 2009 bzw. der Double-Dip-Rezession in der Eurozone (Wirtschaftskrise 2009 plus Rezession 2012/13) nicht mehr, so Baumgartner zur APA. Auch lägen seit der Jahreswende 2019/20 neue Umfrageergebnisse bezüglich Auftragseingang, Investitionsplänen und Arbeitsnachfrage vor, die etwas schwächer als im Oktober seien. "Die aktuellen Indikatoren weisen für 2020 auf eine etwas schwächere Entwicklung hin als in unserer Einschätzung im Herbst."
Konjunkturstützende fiskalpolitische Maßnahmen hält das Wifo aber aus heutiger Sicht dennoch nicht für notwendig, wird betont. Jedoch könnten Maßnahmen mit einem strukturpolitischen oder klimarelevanten Fokus den Abschwung dämpfen - "im Besonderen wenn sie in einer gesamteuropäischen Strategie koordiniert erfolgen". Diesbezüglich hätte der Green-Deal-Vorschlag der EU-Kommission "Potenzial für eine solche Initiative", heißt es. Ansonsten seien die Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik in Europa relativ eingeschränkt, und die EZB habe "ihr Pulver ziemlich verschossen", so Baumgartner.
Die Arbeitslosenquote nach heimischer Berechnungsart sieht das Wifo jetzt ähnlich wie im Herbst: Sie dürfte bis 2021 um die 7,4 Prozent liegen (2019 7,3 Prozent) und bis 2024 auf 7,6 Prozent steigen. Die unselbstständig aktive Beschäftigung soll im Prognosezeitraum um jährlich 1,0 Prozent oder 38.000 Beschäftigungsverhältnisse
steigen, nachdem der Zuwachs im Zeitraum 2015/19 noch 1,7 Prozent pro Jahr betragen hatte. Das Arbeitskräfteangebot dürfte rund ein Prozent (+42.000) pro Jahr zulegen, gespeist durch mehr erwerbstätige Frauen, mehr ältere Erwerbstätige und mehr ausländische Arbeitskräfte. Letztere würden zum Ende des Prognosezeitraums rund 84 Prozent des Zuwachses der aktiv Beschäftigten stellen (79 Prozent 2019), und der Anteil ausländischer Arbeitskräfte an der Gesamtbeschäftigung werde bis 2024 auf gut 24 Prozent ansteigen.
Die Bruttolohn- und -gehaltssumme wird laut dem Update der Mittelfrist-Prognose um 2,9 Prozent pro Jahr zunehmen - der Anstieg wird dann 2024 einen halben Prozentpunkt niedriger sein als in der Vorschau von Oktober, da laut Wifo die Produzentenreallöhne und das Preisniveau um je 0,2 Prozentpunkte schwächer steigen. Wie von den Arbeitskosten dürfte auch von den Importpreisen kein Inflationsdruck ausgehen, wird angenommen. Für 2020/24 sieht das Institut einen jährlichen Preisanstieg von 1,6 Prozent, dabei dürfte der Inflationsvorsprung gegenüber Deutschland tendenziell abnehmen.
Für die Prognose für 2020/24 gibt es - wie schon beim letzten Mal - durchwegs nur Abwärtsrisiken, die aus dem internationalen Rahmen resultieren. Der Fortgang der US-EU-Handelsbeziehungen ist ungewiss, da Präsident Donald Trump nach einer Entspannung mit China verstärkt Europa ins Visier nehmen könnte. Die Brexit-Auswirkungen sind nicht ganz abschätzbar, da die Bedingungen des EU-Austritts Großbritanniens weiter offen sind. Und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, wie zuletzt zwischen den USA und dem Iran, könnten ein Risiko für die globale Energieversorgung darstellen, mit der Gefahr eines deutlichen Anstiegs der Ölpreise und damit der Inflation. Sollten für die Weltwirtschaft solche Abwärtsrisiken eintreten, würde das die Bedingungen für Österreichs Exportwirtschaft verschlechtern und zu einer weiteren Schwächung des Wachstums von BIP, Beschäftigung und Einkommen führen, so das Wifo.